Setzt die Standardbehandlung diabetischer Neuropathie an der Ursache an?
Die Behandlung von durch Diabetes Typ 2 (Altersdiabetes) ausgelöste Neuropathie besteht in erster Linie aus einer guten Blutzuckerkontrolle. Obwohl man weiß, dass ein dauerhaft erhöhter Blutzucker den Nervenzellen schadet, lässt sich jedoch durch eine gute Blutzuckerkontrolle allein das Fortschreiten diabetischer Neuropathie nicht verhindern.
Aus diesem Grund setzt man bei der Behandlung diabetischer Neuropathie an weiteren Stellen an: So kommen zum Beispiel auch anti-oxidative Wirkstoffe und blutdrucksenkende Mittel zum Einsatz. Ein weiterer, relativ neuer Ansatzpunkt ist der Fettstoffwechsel, da Diabetiker schlechte Blutfett- und Cholesterinwerte haben.[1] Zudem werden Diabetiker dazu angehalten, ihr Gewicht zu reduzieren und körperlich aktiver zu sein.
Bei diesen zahlreichen Ansatzpunkten stellt sich die Frage, was denn nun konkret die Ursache für die diabetische Neuropathie ist. Wenn sich das Voranschreiten der Neuropathie durch eine gute Blutzuckerkontrolle nicht verhindern lässt, scheint ein hoher Blutzucker nicht die alleinige Ursache zu sein. Welche weiteren Ursachen kommen in Frage? Um diese Frage zu beantworten, muss man wahrscheinlich den Ursprung der Ursache ausmachen – Diabetes.
Wie Diabetes Typ 2 entsteht
Diabetes Typ 2 entsteht durch eine fortschreitende Insulinresistenz. Ein hoher Konsum von Kohlenhydraten und zu häufige Mahlzeiten führen zu einer ständigen Ausschüttung von Insulin, worauf Körperzellen mit der Zeit mit Insulinresistenz reagieren. Das heißt, dass mehr und mehr Insulin notwendig ist, um den Blutzucker zu kontrollieren.
An dem Punkt, an dem die Bauchspeicheldrüse mit der Produktion nicht mehr nachkommt, spricht man von Diabetes Typ 2. Es besteht ein relativer Insulinmangel. Die Bauchspeicheldrüse produziert zwar noch große Mengen Insulin, aber gemessen am Bedarf ist dies trotzdem zu wenig. Zudem kommt es durch die fortschreitende Insulinresistenz zu einem chronisch erhöhten Insulinspiegel.
Macht es da Sinn, die Krankheit mit Insulin zu behandeln oder sollte man eher versuchen, die Insulinresistenz zu beseitigen?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns ansehen, wie erfolgreich eine Blutzuckerkontrolle durch Insulin ist. Lässt sich durch intensive Insulintherapie die Entstehung oder das Fortschreiten diabetischer Neuropathie verhindern?
Neuropathie schreitet bei Typ 2 Diabetikern trotz intensiver Blutzuckerkontrolle voran
Leider nein. Die Studienlage ist nicht ganz eindeutig. Jedoch scheint die Neuropathie selbst dann voranzuschreiten, wenn der Blutzucker gut kontrolliert ist.[2],[3],[4],[5],[6]
Was man aus den Studien jedoch ziehen kann ist, dass ein hoher Blutzucker nur ein Faktor ist, der die Neuropathie auslöst, aber nicht die alleinige Ursache.
Bei der diabetischen Neuropathie müssen neben dem Blutzucker weitere Faktoren eine Rolle spielen.
Standardtherapie behandelt die Symptome, nicht die Ursache
In der Tat haben Diabetes Typ 2 Patienten nicht nur ein Blutzuckerproblem. Die Krankheit ist mit vielen gesundheitlichen Problemen assoziiert: Dazu gehören zum Beispiel Übergewicht, Bluthochdruck, schlechte Cholesterin- und Blutfettwerte. Diese Symptome sind typisch für das sogenannte metabolische Syndrom, eine Vorstufe von Diabetes.[7] Als Folge davon ergibt sich ein erhöhtes Risiko für viele Erkrankungen: neben Neuropathie gehören dazu unter anderem Herz-Kreislaufkrankheiten und Krebs.[8],[9]
Interessanterweise setzt die Standardbehandlung von Diabetes nur an diesen Symptomen an. Die Symptome werden gelindert, aber die Ursachen ignoriert.
Würde es nicht Sinn machen, bei der Therapie an der Insulinresistenz anzusetzen?
Der Goldstandard bei der Behandlung von Diabetes ist die Verabreichung von Insulin. Interessanterweise verschlimmert sich dadurch die Insulinresistenz jedoch weiter.[10],[11],[12],[13],[14]
Wenn sich die Insulinresistenz unter der Standardbehandlung für Diabetes weiter verschlechtert, dann ist es nicht verwunderlich, dass auch die Neuropathie weiter voranschreitet.
Schädliche Wirkung eines chronisch erhöhten Insulinspiegels
Dass eine gute Blutzuckerkontrolle allein nicht ausreicht, um Folgekrankheiten von Diabetes Typ 2 zu verhindern, ist ein bekanntes Phänomen. Nicht nur diabetische Neuropathie schreitet trotz guter Blutzuckerkontrolle weiter voran.[15] Gleiches gilt auch für das Risiko für Atherosklerose, Herzkreislaufkrankheiten und Krebs.[16],[17],[18],[19]
Bei Diabetes Typ 2 kommt es durch die immer weiter fortschreitende Insulinresistenz zu einem chronisch erhöhten Insulinspiegel. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass nicht nur ein zu hoher Blutzucker, sondern auch ein zu hoher Insulinspiegel dem Körper auf Dauer schadet. Die Tatsache, dass eine Insulintherapie zwar den Blutzucker senkt, aber dafür die Insulinresistenz verschlimmert, könnte erklären, warum der Diabetes und seine Folgekrankheiten weiter voranschreiten.
Warum ist ein chronisch erhöhter Insulinspiegel problematisch? Dazu müssen wir näher auf die Funktion des Hormons eingehen. Eine Aufgabe von Insulin ist es Zucker aus dem Blut in die Zellen zu bringen und somit den Blutzucker zu senken. Es wird häufig übersehen, dass Insulin eine weitere wichtige Aufgabe hat: es ist auch ein Speicherhormon. Es sorgt dafür, dass Fett in den Fettzellen gespeichert wird und überschüssiger Zucker als Glykogen in der Leber.[20]
Insulin Funktion im Fettstoffwechsel
Insulin hat eine Speicherfunktion, die es ermöglicht, Energie zwischenzuspeichern. Wir können also mit einer Mahlzeit mehr Energie aufnehmen, als wir gerade benötigen und die nächsten Stunden oder länger davon zehren.
Das Problem fängt an, wenn wir durch unsere Essgewohnheiten dem Körper keine Gelegenheit geben, die gespeicherte Energie zu verbrauchen. Dies geschieht zum einen durch den übermäßigen Verzehr von Kohlenhydraten, der den Insulinspiegel für mehrere Stunden hochhält, zum anderen durch zu häufige Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten.
Aufgenommene Energie wird also ständig gespeichert, aber dem Körper wird kaum Gelegenheit gegeben, diese auch zu verbrauchen. Bei vielen Leuten ist das lediglich für einige Stunden in der Nacht der Fall. Das ist nicht genug.
Wenn Fettzellen ständig dazu angehalten sind, immer mehr Fett aufzunehmen, reagieren sie irgendwann mit Insulinresistenz und es wird immer mehr Insulin für die Fettspeicherung benötigt. Im fortgeschrittenen Stadium der Insulinresistenz fangen Fettzellen an, trotz eines hohen Insulinspiegels Fettsäuren freizusetzen.[21]
Insulinresistenz und nicht-alkoholische Fettleber
Wenn Fettzellen kein weiteres Fett mehr aufnehmen, sind einige innere Organe, wie die Bauchspeicheldrüse und die Leber dazu gezwungen, es aufzunehmen. Wozu das führt ist allgemein bekannt: zur nicht-alkoholischen Fettleber. Eine Fettleber ist mit vielen gesundheitlichen Problemen assoziiert, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Atherosklerose, Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen.[22],[23]
Eine Fettleber stimuliert auch die Freisetzung von sogenannten very low density lipoproteins (VLDL) Partikeln.[24],[25] VLDL Partikel transportieren Fette, auch Triglyzeride genannt. Ein hoher VLDL-Wert ist mit einem gesteigerten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert.
Da Insulinresistenz und eine Fettleber dem Körper auf vielerlei Art und Weise schaden, ist es wahrscheinlich, dass sie auch eine Rolle bei durch Diabetes ausgelöste Neuropathie spielen.
Wie beseitigt man eine Insulinresistenz?
Der Teufelskreis kann nur durchbrochen werden, indem die Probleme im Fettstoffwechsel behoben und die Insulinsensitivität wiederhergestellt wird. Dazu muss die Insulinflut gestoppt werden. Das gelingt nur, indem der Blutzucker durch kohlenhydratarme Ernährung niedrig gehalten und somit der Bedarf an Insulin gesenkt wird. Eine solche Ernährungsumstellung ermöglicht es, innerhalb weniger Monate den Hämoglobin A1c und Nüchterninsulinwert zu senken, sowie Diabetesmedikamente zu reduzieren oder abzusetzen.[26],[27],[28],[29] Dieser Ansatz setzt an der Ursache an, nämlich der Insulinresistenz durch einen chronisch erhöhten Insulinspiegel.
Die richtige Ernährung ist also bei der Behandlung von Diabetes und der Verhinderung von Folgekrankheiten entscheidend. Inwiefern offizielle Ernährungsempfehlungen dieses Vorhaben unterstützen, erfährst du im Artikel zur Ernährung bei diabetischer Polyneuropathie.